Zwangsstörung (OCD)| Diagnosekriterien
Hin und wieder aufdringliche Gedanken zu haben, sich übertriebene Sorgen über reale Lebensprobleme zu machen oder sicherheitsrelevante Dinge mehrmals zu kontrollieren, führt nicht zu der Diagnose "Zwangsstörung". Das sind alles Erfahrungen, die von Zeit zu Zeit jeder Mensch macht. Sie sind völlig normal und gelten somit nicht als pathologisch.
Eine saubere Diagnostik ist unabdingbar, damit Betroffene einer Zwangsstörung (OCD) die richtige Hilfe erhalten. Sie wird mittels Interview oder spezifischen Fragebogen durchgeführt.
Um von einer Zwangsstörung (OCD) sprechen zu können, müssen zwingend folgende Kriterien erfüllt sein:
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Die betroffene Person hat wiederkehrende, unerwünschte und quälende Zwangsgedanken und/oder führt häufig Zwangshandlungen aus.
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Die betroffene Person erkennt diese als ihre eigenen und weiss, dass sie übertrieben und unangemessen sind. Sie leistet häufig erfolglos Widerstand.
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Die betroffene Person empfindet diese nicht als angenehm und sie dienen auch nicht dazu, um nützliche Aufgaben zu erfüllen.
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Die betroffene Person fühlt sich durch diese im Alltag erheblich belastet und beschäftigt sich täglich mehr als eine Stunde mit ihnen.
Die aktuellen Diagnosekriterien lassen sich im DSM-5, im ICD-10 und im ICD-11 nachlesen. Eine weitere Quelle sind die S3-Leitlinien für Zwangsstörungen (2013) von der dgppn (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychpsomatik und Nervenheilkunde e. V.), welche einen hervorragenden praxisbezogenen Leitfaden sowohl für die Diagnostik als auch die Behandlung von Zwangsstörungen bieten.
Eine erste Einschätzung kann mit folgendem Fragenkatalog vorgenommen werden. Wenn eine der Fragen mit "Ja" beantwortet wird, könnte es sein, dass eine Zwangsstörung (OCD) vorliegt. Mit diesem Katalog werden zwar nicht alle, aber eine sehr hohe Anzahl der Betroffenen abgedeckt. Im Zweifelsfall können die beiden Unterseiten Zwangsgedanken und Zwangshandlungen weitere Hinweise liefern. Diese Fragen wurden dem Testinstrument "Zohar-Fineberg Obsessive Compulsive Screen (ZF-OCS)" entlehnt und mit sinnvollen und aus der persönlichen Erfahrung gewonnenen Fragen ergänzt.
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Duschst, wäschst, desinfizierst oder putzt du sehr viel?
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Kontrollierst, checkst oder überprüfst du sehr viel?
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Hast du quälende Gedanken, Bilder oder Impulse, die du loswerden möchtest, aber nicht kannst? Inhaltlich sind sie häufig gewalttätiger, sexueller, religiöser, moralischer, existenzieller, gesundheitlicher oder beziehungstechnischer Natur und machen auch vor Tabus keinen Halt.
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Brauchst du für Alltagstätigkeiten sehr lange?
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Machst du dir Gedanken um Ordnung und Symmetrie?
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Vermeidest du Situationen, Orte, Objekte oder Menschen, weil du befürchtest, es könnte etwas Schlimmes passieren oder du könntest etwas Schlimmes tun, was du eigentlich gar nicht möchtest?
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Suchst du häufig Rückversicherung bei anderen oder im Internet, um dich zu beruhigen oder um auf Nummer sicher zu gehen?
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Bewahrst du Dinge auf, obwohl sie eigentlich wertlos und nutzlos sind?
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Machst du gewisse Dinge solange, bis sie sich "richtig" anfühlen?
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Hast du manchmal Angst, den Verstand oder die Kontrolle zu verlieren, verrückt zu werden oder überzuschnappen?
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Bist du ständig voller Zweifel und hältst Situationen, die mit Ungewissheit verbunden sind, kaum aus?
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Tust, denkst, sagst oder zählst du bestimmte Dinge, um ein Unheil, ein Unglück oder eine Katastrophe abzuwenden?
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Wiederholst du sehr viel oder musst gewisse Dinge in einer bestimmten Anzahl ausführen oder einer bestimmten Reihenfolge erledigen?
Bei der Diagnosestellung ist es unabdingbar, dass eine Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern vorgenommen wird, die teilweise ähnliche Symptome und Verhaltensweisen wie die Zwangsstörung (OCD) aufweisen. Das wären insbesondere die zwanghafte Persönlichkeitsstörung, die Schizophrenie, die Störung der Impulskontrolle, die depressive Störung und das Messie-Syndrom. Zu jedem Krankheitsbild gibt es ganz klare Kriterien, welche eine eindeutige Abgrenzung ermöglichen. Um den Rahmen nicht zu sprengen, wird hier aber nicht näher darauf eingegangen. Die Abgrenzung ist deshalb so wichtig, weil diese Krankheitsbilder anders therapiert werden als eine Zwangsstörung (OCD).
Das Gefühl von Gesundheit erwirbt man sich nur durch Krankheit. (Georg Christoph Lichtenberg)
Eine Zwangsstörung (OCD) tritt zudem selten alleine in Erscheinung. Häufige Komorbiditäten, das sind Begleiterkrankungen, können folgende sein: Depressive Störungen, Angststörungen vor allem soziale Phobien, Panikstörung, posttraumatische Belastungsstörung, Essstörungen und Alkoholabhängigkeit. Diese können vor der Zwangsstörung (OCD) aufgetreten sein oder sich erst im Verlauf ergeben haben. Begleiterkrankungen können die Therapie einer Zwangsstörung (OCD) erschweren und verkomplizieren.
Der Vollständigkeit halber folgt anschliessend der Originaltext aus dem ICD-11, welches das ICD-10 abgelöst hat und per 01.01.2022 in Kraft getreten ist. Die englische Version ist offiziell freigegeben, bei der deutschen handelt es sich um eine automatisierte Übersetzung, welche von der WHO noch überprüft wird. Aus meiner Sicht ist die deutsche Fassung tatsächlich mangelhaft, denn das Wort "Zwangsgedanken" kommt nicht vor und das Wort "Zwänge" wird synonym für Zwangsgedanken und Zwangshandlungen verwendet.
Obsessive-Compulsive Disorder is characterised by the presence of persistent obsessions or compulsions, or most commonly both. Obsessions are repetitive and persistent thoughts, images, or impulses/urges that are intrusive, unwanted, and are commonly associated with anxiety. The individual attempts to ignore or suppress obsessions or to neutralize them by performing compulsions. Compulsions are repetitive behaviours including repetitive mental acts that the individual feels driven to perform in response to an obsession, according to rigid rules, or to achieve a sense of ‘completeness’. In order for obsessive-compulsive disorder to be diagnosed, obsessions and compulsions must be time consuming (e.g. taking more than an hour per day) or result in significant distress or significant impairment in personal, family, social, educational, occupational or other important areas of functioning.
Zwangsstörungen sind durch das Vorhandensein von anhaltenden Zwängen oder Zwangshandlungen oder in den meisten Fällen durch beides gekennzeichnet. Zwangsvorstellungen sind sich wiederholende und anhaltende Gedanken, Bilder oder Impulse/Erregungen, die aufdringlich und unerwünscht sind und in der Regel mit Ängsten einhergehen. Der Betroffene versucht, die Zwangsvorstellungen zu ignorieren oder zu unterdrücken oder sie durch die Ausübung von Zwängen zu neutralisieren. Zwänge sind sich wiederholende Verhaltensweisen, einschließlich sich wiederholender geistiger Handlungen, die der Betroffene als Reaktion auf eine Obsession, nach starren Regeln oder zur Erlangung eines Gefühls der "Vollständigkeit" auszuführen gedenkt. Damit eine Zwangsstörung diagnostiziert werden kann, müssen die Zwangsvorstellungen und Zwänge zeitaufwendig sein (z. B. mehr als eine Stunde pro Tag in Anspruch nehmen) oder zu erheblichem Leidensdruck oder zu erheblichen Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen führen.
Vielleicht weisst du bereits, dass du eine Zwangsstörung (OCD) hast. Vielleicht bist du dir auch unsicher darüber. Gerne können wir gemeinsam schauen, ob es sich in deinem ganz spezifischen Fall um eine Zwangsstörung (OCD) handelt.