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Zwangsstörung (OCD)| Was ist das?

Was eine Zwangsstörung (OCD) ist und wie sie sich bei einem Betroffenen bemerkbar macht, könnte man kurz und knapp wie folgt formulieren:

Betroffene einer Zwangsstörung (OCD) haben wiederkehrende, aufdringliche und unerwünschte Gedanken, Bilder oder Impulse, welche als Bedrohung erlebt und von starken unangenehmen Gefühle, wie Angst, Zweifel, Scham, Schuld oder Ekel, begleitet werden. Um mit den aufdringlichen Inhalten und den überwältigenden Gefühlen klarzukommen, greifen die Betroffenen auf physische Handlungen oder mentale Rituale zurück. Diese sorgen kurzfristig zwar für Erleichterung, werden langfristig aber zum eigentlichen Problem. Es entsteht ein klassischer Teufelskreis, der die Schlinge immer enger zieht.

Die aufdringlichen Inhalte werden Zwangsgedanken und die physischen oder mentalen Interventionen, welche von den Betroffenen als Reaktion auf die gefühlte Bedrohung ausgeführt werden, werden Zwangshandlungen genannt.

Zeitungsausschnitte mit Obsessive-Compulsive Disorder (OCD)

Die englische Bezeichnung "Obsessive-Compulsive Disorder" verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Zwangsgedanken (=> Obsession) und Zwangshandlungen (=> Compulsion).

Es gibt aber auch Betroffene, bei denen weniger die aufdringlichen Inhalte, als vielmehr spezifische Gefühle im Vordergrund stehen. Dazu gehören das Gefühl von Unvollständigkeit und das Gefühl von Nicht-Richtig-Anfühlen. Auf diese reagieren sie dann ebenso mit Zwangshandlungen, die sie solange ausführen, bis sich ein Gefühl von Vollständigkeit oder "es fühlt sich richtig an" einstellt.

Letztendlich ist eine Zwangsstörung (OCD) weit mehr als häufiges Kontrollieren, Waschen, Zählen oder Ordnen. Ihr Erscheinungsbild ist unglaublich facettenreich und kann tatsächlich auch ohne die in der breiten Öffentlichkeit eher bekannten offenen Zwangshandlungen auskommen. In diesem Fall spielt sich dann alles ausschliesslich im Kopf der Betroffenen ab.

Eine Zwangsstörung (OCD) ist keine harmlose Marotte, sondern eine ernsthafte psychische Erkrankung, die bei den Betroffenen einen enormen Leidensdruck verursacht. Ohne geeignete Gegenmassnahmen hat sie die Tendenz, sich zu chronifizieren und im Verlaufe der Zeit immer schlimmer zu werden. Der Leidensdruck kann so stark werden, dass Suizid als einziger Ausweg in Betracht gezogen, versucht oder sogar begangen wird.

Dargebotene Hand (Tel. 143)

Selbstmord ist keine Lösung. Falls du ernsthaft darüber nachdenkst, dir das Leben zu nehmen, hol dir bitte jetzt sofort professionelle Hilfe. Verwehre dir selbst nicht die Erfahrung, dass es auch wieder besser werden kann.

Das ist insofern tragisch, als dass es Mittel und Wege gibt, die nicht nur Hoffnung versprechen, sondern einen echten Ausweg bieten. Mit dem richtigen Wissen und der richtigen Herangehensweise gehören Zwangsstörungen nämlich zu jenen psychischen Krankheiten, die die besten Heilungsaussichten aufweisen. Leider scheitert es oftmals genau daran, also am Wort "richtig".

Gründe

Es gibt eine Vielzahl von Gründen, warum es im Durchschnitt 14 - 17 Jahre dauert, bis Betroffene eine adäquate Therapie erhalten. Die wichtigsten wären:

 

  1. Die Schamgrenze ist bei den Betroffenen sehr hoch. Sie schämen sich für ihre Zwangsgedanken und/oder ihre Zwangshandlungen und suchen deshalb trotz immensem Leidensdruck keine professionelle Hilfe auf.

  2. Den Betroffenen ist gar nicht bewusst, dass sie an einer psychischen Krankheit leiden. Sie wissen zwar, etwas stimmt nicht, befürchten aber, sie müssten entweder Farbe bekennen (z.B. HOCD, ROCD) oder könnten für immer weggesperrt werden (z.B. Harm OCD, POCD), wenn sie jemanden von ihren Zwangsgedanken erzählen würden.

  3. Selbst Fachpersonen verkennen eine Zwangsstörung (OCD) häufig, obwohl die Diagnosekriterien eigentlich klar geregelt sind. Die offensichtlichen Zwangshandlungen, wie Waschen, Kontrollieren und Ordnen fallen auf und werden eher korrekt diagnostiziert. Die mentalen Rituale hingegen, die komplett im Verborgenen ablaufen, bleiben lange unentdeckt.

  4. Wer die richtige Diagnose im Gepäck hat, ist zwar einen Schritt weiter, aber leider nicht gefeit davor, weiterhin an Ort und Stelle zu treten. Letztendlich ist nicht jede Therapieform gleich wirksam bei Zwangsstörungen. Als Goldstandard gilt die Exposition mit Reaktionsmanagement (ERM). Dieser wird im Idealfall mit weiteren nützlichen Therapiebausteinen kombiniert.

 

Das ist natürlich bedauerlich. Nur mal vorgestellt, man würde sich das Bein brechen und müsste durchschnittlich 14 - 17 Jahre auf eine angemessene Behandlung warten. Einfach nur absurd, und dennoch passiert genau das bei Zwangsstörungen leider immer wieder. Umso wichtiger ist es, dass dieses Krankheitsbild, das immerhin 3% der Bevölkerung betrifft und nach Ängsten, Depressionen und Süchten zu den 4. häufigsten psychischen Erkrankungen gehört, sowohl und insbesondere bei den Fachleuten als aber auch in der breiten Öffentlichkeit bekannter wird.

Menschen mit einer Zwangsstörung (OCD) sind weder gefährlich, noch verrückt, noch dumm, noch paranoid, noch anderweitig intellektuell beeinträchtigt. Zumindest nicht mehr, als dies auch für jedes andere menschliche Individuum ohne Zwangsstörung (OCD) zutreffen könnte. Betroffene haben in der Regel eine hohe Einsicht. Sie wissen sehr wohl, dass ihre Zwangsgedanken und ihre Zwangshandlungen eigentlich absurd sind. Dennoch können sie nicht damit aufhören. Sie erleben die aufdringlichen Gedankeninhalte und die hochdosierten unangenehmen Gefühle als Bedrohung und sehen sich gezwungen, mit einer Zwangshandlung, physischer oder mentaler Natur, darauf zu reagieren. Genau dieser Umstand hält sie im Teufelskreis der Zwangsstörung (OCD) gefangen.

Zitat: Schiefertafel mit Quotes

Du hast die Wahl. Du kannst dir Sorgen machen, bis du davon tot umfällst. Oder du kannst es vorziehen, ein bisschen Ungewissheit zu geniessen. (Norman Mailer)

Der Treibstoff einer Zwangsstörung (OCD) sind immer starke Zweifel und die Intoleranz von Ungewissheit. Daraus resultiert das ewige Streben nach absoluter Gewissheit resp. Sicherheit. Da es so etwas wie absolute Sicherheit im Leben aber gar nicht gibt, gleicht dieses Vorhaben der Suche von der Nadel im Heuhaufen. Dieser Umstand zeigt auch gleich einen möglichen Ausweg auf. Es geht nämlich darum, die Ungewissheit (wieder) auszuhalten.

Zwangsstörungen gelten als chronisch. Einerseits, weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie untherapiert von alleine wieder verschwinden. Vielmehr ist es so, dass sie im Verlaufe der Zeit immer schlimmer werden. Andererseits, weil sie trotz Therapie nur in den seltensten Fällen komplett verschwinden. Wenn das  persönliche Belastungsniveau ausreichend hoch ist und der richtige Trigger auftaucht, kann es zu Rückfällen kommen. "Chronisch" und "Rückfälle" hört sich erstmal dramatisch an, ist es aber tatsächlich gar nicht. Mit der richtigen Therapie verfügen die Betroffenen über so viel Knowhow, dass sie sich jederzeit wieder selbst aus den aufflammenden Geisseln der Zwangsstörung (OCD) befreien können. Für therapierte Betroffenen bedeutet chronisch eben nicht, dass es zunehmend immer schlimmer wird, sondern dass es hin und wieder zu kurzen Episoden kommen kann, in denen der Zwang vorübergehend stärker ist. Ausserhalb von solchen Episoden können sie ein erfülltes Leben führen.

Vielleicht weisst du bereits, dass du eine Zwangsstörung (OCD) hast. Vielleicht bist du dir auch unsicher darüber. Gerne können wir gemeinsam schauen, ob es sich in deinem ganz spezifischen Fall um eine Zwangsstörung (OCD) handelt.

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