top of page

Zwangsstörung (OCD) | Zwangshandlungen

Zwangshandlungen sind bewusste Interventionen, die von den Betroffenen einer Zwangsstörung (OCD) als Reaktion auf deren Zwangsgedanken ausgeführt werden. Das können sowohl physische Handlungen als auch mentale Rituale sein. Die Zwangshandlungen bezwecken dabei folgende drei Dinge:

 

  1. Klarkommen mit den überwältigenden Gefühlen.

  2. Neutralisieren oder wieder loswerden der Zwangsgedanken.

  3. Verhindern, dass die befürchteten Katastrophen eintreten.

 

Das "Zwang" in Zwangshandlung steht für zwanghaft. Das heisst, die Zwangshandlungen werden zwanghaft und willentlich ausgeführt. Dies ganz im Gegensatz zu den Zwangsgedanken, die sich den Betroffenen in Form von aufdringlichen Gedanken, Bildern und Impulsen unwillentlich aufzwingen.

Mann mit Handschuhen, der Oberfläche putzt (Putzzwang)

Putzzwang: Exzessives Putzen ist nur eine von vielen unterschiedlichen Zwangshandlungen, die eine Zwangsstörung (OCD) zum Vorschein bringen kann.

Zwangshandlungen sorgen kurzfristig tatsächlich für Erleichterung. Das ist auch der Grund, warum Betroffene immer wieder darauf zurückgreifen. Leider sind Zwangshandlungen aber nicht sonderlich nachhaltig. Das liegt daran, dass sie lediglich die Symptome, nicht aber die Ursache bekämpfen. So kommt es, dass Zwangshandlungen den Teufelskreis der Zwangsstörung (OCD) aufrechthalten. Für die Betroffenen wird die vermeintliche Lösung zum eigentlichen Problem.

Menschen mit einer Zwangsstörung (OCD) sind unheimlich kreativ, was das  Erfinden und Entwickeln von Zwangshandlungen angeht. So ist es wenig verwunderlich, dass diese grundsätzlich jede erdenkliche Form annehmen können. Grenzen werden höchstens durch die eigene Fantasie gesetzt. Dennoch gibt es unter den Betroffenen eine hohe Übereinstimmung. Diese Seite soll einen Überblick über die gängigsten Zwangshandlungen liefern.

Gut zu wissen: Nicht jeder Mensch, der eine der unten beschriebenen Verhaltensweisen aufweist, muss zwangsläufig eine Zwangsstörung (OCD) haben. Es gibt beispielsweise Menschen, die 3x täglich duschen, weil sie viel Sport machen, sich gerne frisch fühlen oder einfach nur Spass daran haben. Der grosse Unterschied liegt darin, dass diese Menschen eine Wahlfreiheit haben. Die Welt würde sich auch weiterdrehen, wenn sie an einem Tag nicht 3x duschen würden. Menschen mit einer Zwangsstörung fühlen sich hingegen regelrecht getrieben, die Zwangshandlungen auszuführen. Ein Verzicht käme einer Katastrophe gleich.

Waschen, duschen, putzen oder reinigen
In diese Kategorie gehören Handlungen, wie z.B. exzessives Hände waschen und/oder desinfizieren, stundenlanges und/oder häufiges Duschen, intensives Putzen und Reinigen von Wohnung, Küche, Bad, Auto, etc., ständiges Sterilisieren von Gegenständen, häufiges Kleiderwechseln, tägliches Waschen oder Wegwerfen von Kleidungsstücken, die als kontaminiert gelten.

Kontrollieren, checken oder überprüfen
Typische Handlungen in dieser Kategorie sind z.B. mehrfaches Überprüfen von Ofen, Herd, Wasserhahn, Lichtschalter und/oder Türe vor dem Verlassen des Hauses, häufiges Kontrollieren von Gegenstände, ob sie noch da und nicht verloren gegangen sind, oder wiederholtes Lesen von selbst geschriebenen Texten, wie z.B. in SMS, E-Mails, etc., bevor sie abgeschickt werden.

Wiederholen oder repetieren

In dieser Kategorie finden sich Handlungen, die in einer bestimmten Anzahl durchgeführt oder solange wiederholt werden müssen, bis sich beim Betroffenen ein Gefühl von "richtig" einstellt. Beispiele hierfür wären: Texte mehrmals lesen oder schreiben, Wörter oder Sätze mehrmals sagen, Fragen mehrmals stellen oder Bewegungsabläufe mehrmals vornehmen.

Horten, sammeln oder in Vielfachen einkaufen

Dinge aufbewahren oder nicht entsorgen, Dinge in mehrfacher Ausführung anschaffen oder alle im Laden berührten Gegenstände kaufen, sind typische Handlungen in dieser Kategorie. Wichtig ist hier die Abgrenzung zum Messie-Syndrom, bei welchem die Betroffenen ebenfalls Dinge anhäufen. Jemand mit einem Messie-Syndrom sieht einen Sinn im Horten von Gegenständen, er findet diese Aufgabe wichtig und richtig. Jemand mit einer Zwangsstörung (OCD) hingegen hortet Dinge, um zu verhindern, dass die befürchteten Konsequenzen, welche ihm seine Zwangsgedanken suggerieren, eintreten.

Rückversicherung bei anderen oder im Internet einholen
Ein Betroffener, der sich rückversichert, ist auf der Suche nach absoluter Gewissheit. Gewissheit darüber, etwas nicht zu sein und/oder niemals sein zu können, etwas nicht getan und/oder niemals tun zu können. Jemand, der unter gewalttätigen Zwangsgedanken leidet, könnte Familienmitglieder immer wieder fragen: "Du denkst schon auch, dass ich das niemals tun könnte, oder?" Jemand, der befürchtet, er könnte beim Autofahren aus Versehen jemanden überfahren haben, recherchiert stundenlang im Internet, ob er Informationen zu Unfällen mit Fahrerflucht in seiner Region findet.

Vermeiden von Menschen, Orten, Objekten oder Tätigkeiten
Durch das Vermeiden von gewissen Menschen, Orten, Objekten oder Tätigkeiten soll das Auftreten von Zwangsgedanken und den damit verbundenen unangenehmen Gefühlen verhindert werden. Jemand mit einer Kontaminationsangst vermeidet öffentliche Toiletten. Jemand mit gewaltbehafteten Zwangsgedanken vermeidet Messer. Jemand mit Zweifeln an seiner sexuellen Orientierung vermeidet attraktive Menschen desselben Geschlechts. Jemand mit pädophilen Zwangsgedanken vermeidet das Wickeln von Babys oder das Spielen mit Kindern.

Zitat: Schiefertafel mit Quotes

Schlimm ist der Zwang, doch es gibt keinen Zwang, unter dem Zwang zu leben. (Epikur)

Ordnen oder arrangieren
Typische Handlungen in dieser Kategorie sind z.B. Kleider oder Schuhe im Schrank nach Grösse, Form oder Farbe einräumen, Dinge absolut symmetrisch aufeinander ausrichten, Dinge nur der Optik wegen hinzufügen oder weglassen, Texte so schreiben, dass alle Sätze oder Abschnitte genau gleich gross oder lang sind oder gleich viele Worte beinhalten.

Gedanken unterdrücken
Hierbei versuchen die Betroffenen die Zwangsgedanken, die sich als aufdringliche Gedanken, Bilder oder Impulse präsentieren, zu ignorieren, wegzuschieben oder zu unterdrücken. Leider führt das zu einem sogenannten Rebound-Effekt. Nicht nur kommt der Zwangsgedanke zurück, er nimmt mit der Zeit auch an Intensität und Häufigkeit zu. Dies veranlasst den Betroffenen, seine Gedanken noch intensiver zu unterdrücken. Dadurch entsteht ein Teufelskreis.

Gedanken neutralisieren, Gegengedanken denken oder wünschen
Die Betroffenen sind überzeugt davon, dass sie mit einem "guten" Gedanken einen "schlechten" Zwangsgedanken neutralisieren können. Um das drohende Unheil abzuwenden, muss beim Auftauchen eines Zwangsgedanken zum Beispiel ans Gegenteil gedacht werden. Eine weitere Alternative wäre, den Zwangsgedanken selbst erneut zu denken und dabei gleichzeitig zu blinzeln, oder irgendeine andere Handlung auszuführen. Wieder andere neutralisieren ihre Zwangsgedanken mit einem Wunsch, wie z.B. "Meine Mutter soll Krebs bekommen." könnte in "Ich wünsche ihr ein langes Leben." resultieren.

Zählen oder nummerieren
Betroffene, die zählen, können grundsätzlich alles zählen, was in irgendeiner Form zählbar ist. Das können Gegenstände, Handlungsabläufe, Schritte, Wörter, Buchstaben oder Ziffern sein. Das Zählen kann dabei laut oder stumm erfolgen. Genauso kann es sein, dass gewisse Dinge in einer bestimmten Anzahl ausgeführt werden müssen, z.B. bei Durst immer 4 Schlucke zu trinken. Es kann aber auch sein, dass der Blick von gewissen Ziffern, Zahlen oder Uhrzeiten abgewendet werde muss oder sie stattdessen nicht verpasst werden dürfen.

Erinnerungen immer wieder aufrufen und abspielen
Um absolute Gewissheit über Situationen, Handlungen, Aussagen oder Gefühle zu erlangen, können Betroffene im Gedächtnis gespeicherte Erinnerungen immer und immer wieder aufrufen und abspielen. Jemand mit Zweifeln an seiner sexuellen Orientierung erinnert sich an heterosexuelle Erlebnisse. Jemand mit Zweifeln an seiner Beziehung erinnert sich an die Zeit des Verliebtseins.

Hypothetische Zukunftsszenarien immer wieder durchspielen
Bei dieser Zwangshandlung werden bevorstehende Ereignisse immer und immer wieder durchgespielt, um herauszufinden, was im schlimmsten Fall alles passieren könnte und wie man dann damit umgehen würde. Es geht darum, absolute Gewissheit über Situationen, Handlungen, Aussagen oder Gefühle zu erlangen, die erst eintreten werden.

Mentales Kontrollieren, Checken oder Überprüfen
Mentales Checken ist dem physischen Überprüfen nicht ganz unähnlich. Statt einem Lichtschalter oder einer Türe werden einfach Gedanken, Gefühle oder Empfindungen überprüft. Hierzu einige Beispiele: 1. Ein Zwangsgedanke wird von einem Betroffenen bewusst aufgerufen, um zu überprüfen, ob er sich von ihm noch belästigt fühlt. 2. Es wird bewusst an die Konsequenz gedacht, die sich bei der Verwirklichung des Zwangsgedanken ergeben würde, um zu prüfen, ob man das abstossend findet. 3. In einer Beziehung wird ständig gecheckt, ob die Gefühle für den Partner stark genug sind. 4. Während ein attraktiver Mensch desselben Geschlechts bemerkt wird, wird die Leistengegend überwacht. 

Zitat: Schiefertafel mit Quotes

Zwang ist ein Spiegel, in dem derjenige, welcher lange genug hineinblickt, entdecken kann, wie sein Innerstes Selbstmord begeht. (Khalil Gibran)

Ergebnisloses Grübeln, resp. Grübelzwang
Grübeln ist eine sehr verbreitete Zwangshandlung bei Zwangsstörungen und kann nahezu alle Themengebiete affektieren. Ein Betroffener denkt pausenlos über etwas nach, ohne zu einer Lösung oder einem wirklichen Ergebnis zu kommen. Es handelt sich sozusagen um eine mentale Endlosschleife. Grübeln ist für einen Betroffenen sehr zeitintensiv und energieraubend.

Erinnerungen horten
Dies ist das Pendent zum Horten von physischen Gegenständen, nur dreht sich hier alles um die Erinnerungen im Gedächtnis. Es geht darum, sich möglichst detailgetreu an alles erinnern zu können. Das können Situationen, Menschen, Orte, Unterhaltungen, Handlungen, Bücher, Artikel, etc. sein. Betroffene werden durch die Annahme getrieben, die Erinnerungen eines Tages für eine mögliche Analyse brauchen zu können.

Selbstvergewisserung
Das ist das mentale Gegenstück zur Zwangshandlung "Rückversicherung bei anderen oder im Internet einholen". Hier gibt sich der Betroffene die Rückversicherung selbst, indem er ständig beruhigende Aussagen wiederholt. Das grenzt oftmals an eine ritualisierte Version von positiven Affirmationen. Beispiele: "Es wird nichts passieren.", "Meine Kinder sind nicht in Gefahr." oder "Die Türe ist wirklich abgeschlossen."

Beten
Exzessives Beten kommt vor allem bei Menschen vor, deren Zwangsstörung (OCD) das Themengebiet "Religion" betrifft. Wenn sie einen blasphemischen Zwangsgedanken haben, müssen sie danach solange beten, bis das Gebet x-fach aufgesagt wurde oder die Anspannung deutlich nachlässt. Das tun sie, um sich von den Zwangsgedanken reinzuwaschen und nicht im Fegefeuer zu landen.

Beichten
Exzessives Beichten betrifft wie das Beten eigentlich ausschliesslich Menschen mit einer religiösen Ausprägung der Zwangsstörung (OCD). Immer, wenn sie einen blasphemischen Zwangsgedanken haben, verspüren sie den Drang, dies zu beichten und sich dadurch Erleichterung zu verschaffen. Dies kann sowohl physisch in einer Kirche gegenüber einem Priester als auch mental von überall her direkt zu Gott erfolgen.

Gestehen
Menschen mit Zwangsgedanken fühlen sich oftmals schuldig dafür, dass sie diese Gedanken haben. Eine Form der Zwangshandlung, die diese Schuldgefühle wieder abbauen kann, ist das zwanghafte Gestehen. So kann zum Beispiel ein Mann, der im Supermarkt eine attraktive Frau gesehen hat, seiner Partnerin zu Hause diesen Vorfall gestehen. Seine Partnerin wird ihm dann vermutlich sagen, dass das nicht weiter schlimm sei und sie ihn deshalb nicht verlassen werde, worauf er sich erleichtert fühlen wird.

So, das waren vermutlich die bekanntesten und die am weitesten verbreiteten Zwangshandlungen. Dennoch dürfte die Aufzählung alles andere als vollständig sein. Es gibt weitere, teilweise sehr spezifische Zwangshandlungen, die eher selten anzutreffen sind. Des Weiteren gibt es auch Abwandlungen, die aus einer Kombination der oben aufgeführten Zwangshandlungen bestehen.

Um herauszufinden, ob es es sich bei einer physischen oder mentalen Intervention um eine Zwangshandlung handelt, gibt es eine einfache Methode. Man kann sich fragen, ob man eine echte Wahlfreiheit dahingehend hat, es zu tun oder nicht zu tun. Wenn man diese Frage mit "Ja" beantworten und im Idealfall auch gleich ein "Proof of Concept" vornehmen kann, handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit nicht um eine Zwangshandlung.

Im Zweifelsfall können wir es gerne gemeinsam anschauen, ob wir es in deinem ganz spezifischen Fall mit einer Zwangshandlung zu tun haben.

bottom of page